niemals wollte ich so werden

Veröffentlicht auf von Emily Dawn

Wieder ein neuer Morgen. Und neben mir, ein fremdes Gesicht, das mir noch kurz zuvor so nah war. Und ich sehe nur deines, in meinen Gedanken. Wieder der Moment, in dem ich wünschte, ich wäre nicht mehr da, wenn er wach wird. Und wieder zu spät.

 

Langsam dreht er sich zu mir und blickt mich aus verschlafenen Augen an. Grüne Augen, die mir am Abend zuvor so leuchtend erschienen. Augen, die mich lockten, während ich versuchte, nicht an deine zu denken. "Morgen!", flüstert er. "Gut geschlafen?". Ich nicke. Und als er mich küsst, versuche ich etwas zu spüren. Vergeblich. Und ich nenne ihn nicht beim Namen. Ihn nicht, und all die anderen nicht. Denn es ist mir egal, wer er ist. Wer sie alle sind.

 

"Ich würde gerne duschen!" sage ich schließlich und er lächelt, als er aufsteht, um mir ein Handtuch zu geben. Und ich beobachte ihn genau. Und ich kann ihn nicht sehen, als der, der er ist. Ich denke immerzu in Du- Kategorien. Kleiner als du, schlanker als du, wilder als du. Nicht so kalt wie du. Aber nicht du.  

 

"Du kannst im Bad alles benutzen." sagt er freundlich und sieht nicht, dass ich grinse. "Benutzen", denke ich. Und ich fühle mich nicht einmal schlecht. Ich benutze ihn, ich benutze sie alle. Um die Leere zu füllen, die du hinterlassen hast. Aber nichts füllt mich aus.

 

Im Bad drehe ich das heiße Wasser auf und versuche einen Moment zu entspannen. Und ich weiß, was jetzt folgen wird. "Kaffee?" wird er fragen, und ich werde "Ja!" sagen. "Viel Milch, keinen Zucker." Immer dasselbe Spiel. Kaffee gibt es immer. Und niemals lasse ich sie näher an mich heran, als bis zu diesem gemeinsamen Becher. Niemals erfahren sie mehr, als "Viel Milch, keinen Zucker." Und dann bin ich weg.

 

Langsam ziehe ich mich an, und mir missfällt der Gedanke, das Bad zu verlassen und ihm zu begegnen. Ich werfe einen Blick in den Spiegel und ich frage mich, wo sie geblieben ist. Die Frau, die ich gewesen bin. Und ich denke an den Tag, an dem du gegangen bist. Weil ich dir sagte, dass es mir nicht genug sei. Und dass ich dir nicht mehr hinterher laufen werde.

 

Und dann verlasse ich das Bad und gehe zu ihm. "Magst du Kaffee?" fragt er und ich nicke voller Wehmut. "Viel Milch, keinen Zucker." sage ich kurz angebunden und setze mich an den sorgfältig gedeckten Tisch. Er ist der Croissant-und-Konfitüre- Typ. Ein neuer auf der Liste ohne Namen. Er erzählt mir von sich, und von seinem Job. Mir ist all das egal. Weil er nicht du ist.

 

Ob ich noch einen Film schauen oder spazieren gehen will, fragt er, und mir wird buchstäblich schlecht. Wortlos schüttle ich den Kopf. Zum Abschied ein schneller Kuss, und ich weiß, wir werden uns nicht wiedersehen. Ich lehne den Kopf zurück und schaue hinaus. Und ich denke nach, über die Frau, die ich gewesen bin. Bis zu dem Tag, als du gegangen bist. 

 

 

Und ich wünsche sie mir zurück. Die Ehrliche, Treue. Die, die alles gegeben  hätte. Die immer das Gute in dir gesehen, immer an dich geglaubt hat. Und auch die, die daran zerbrochen ist, dass du auf all das keinen Wert gelegt hast.


 

 

(neon.de wieder einmal grandios)

 


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